Ich brauch mal ‘ne Lisbeth!

Pressemitteilung
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Yvonne Hillebrand (li.) und Annet Reitenbach freuen sich über wollige Spenden für die dementen Patienten im St. Adolf-Stift.

Die gehäkelte Schnecke hilft im Krankenhaus Reinbek Patienten mit Demenz bei Unruhe und unkontrolliertem Nesteln.

Die bunte Schnecke „Lisbeth“ ist eigentlich ein Zufallsprodukt. Schon länger war die Demenzbeauftragte des St. Adolf-Stiftes, Yvonne Hillebrand, auf der Suche nach einem Gegenstand, um Menschen mit Demenz im Krankenhaus die Unruhe zu nehmen und etwas in die Hand zu geben. Denn durch das so genannte „Nesteln“, also nervöse und scheinbar ungezielte Bewegungen der Hände, die etwas zum Tasten suchen, können im Krankenhaus gefährliche Situationen entstehen. Yvonne Hillebrand erklärt: „Manchmal ziehen Menschen mit Demenz aufgrund von Stress durch die unbekannte Umgebung leider an ihren Verbänden oder gar Zu- und Ableitungen. Das kann unter Umständen zu Unterbrechungen der Therapie, Störungen der Wundheilung und Keimverschleppung führen.“

So schwebte der Demenzbeauftragten etwas aus Holz oder anderen Materialien vor, das beim Fühlen Reize setzt. Aber so richtig rund war die Idee noch nicht. Und dann kam der Tag im März, an dem Yvonne Hillebrand von einer Mitarbeiterin der Station 11 angerufen wurde mit der Bitte, sie möge eine extrem unruhige Patientin aufsuchen. „Annet Reitenbach, die Pflegetrainerin der Familialen Pflege reichte mir eine selbstgehäkelte Schnecke mit dem Worten ‚Versuch doch, sie damit abzulenken‘.“ Und tatsächlich betrat die Demenzbeauftragte das Patientenzimmer mit den Worten: „Darf ich Ihnen diese kleine Schnecke schenken?“ Sofort war die Anspannung aus dem Gesicht der alten Dame verschwunden. Hillebrand erinnert sich: „Sie hat sich gefreut, das bunte Wollknäul in ihre Hand genommen und fing an, über sich und ihre Hobbys zu erzählen. Damit war eine ganz andere Stimmung im Raum.“

Bei der Entlassung hatte die Patientin die Schnecke immer noch bei sich, hatte sie in Tücher gewickelt, um sie zu schützen, und sagte: „Die habe ich selbst gemacht.“ Und als Annet Reitenbach einige Wochen später die Familie dieser Patienten in ihrer Funktion als Pflegetrainerin in der Häuslichkeit aufsuchte, staunte sie nicht schlecht. Reitenbach: „Die Patientin hatte die Schnecke immer noch bei sich. Und die Angehörigen haben mir ganz glücklich erzählt, dass sie die Schnecke als wichtigen Bestandteil in der täglichen Versorgung ihrer erkrankten Mutter nutzen können. Die Angehörigen freuten sich sehr über die Aktion des St. Adolf-Stift.“

Damit war die Idee geboren, dass besonders unruhige Patienten ihre persönliche gehäkelte Schnecke bekommen sollen, die gut in die Hand passt. Sie soll keine Angst machen und freundlich gestaltet sein. Durch die verschiedene Farben, Materialien und Formen sollen Reize gesetzt werden, gleichzeitig musste das Gehäkelte aber auch sicher sein, also keine verschluckbaren Kleinteile enthalten oder Wundlegen verursachen. Reitenbach: „So war dann nach etwas Herumprobieren Lisbeth 1.0, eine kleine grüne Schnecke mit Fühlern, einem lächelndem Mund und buntgeringeltem Schneckenhaus entstanden. Jeder, der diese Schnecke in die Hand nimmt, lächelt. Und auch die Angehörigen freuen sich, dass diese kleinen Schnecken, ehrenamtlich, individuell und mit Liebe in 1-3 Stunden für ihre erkrankten Angehörigen gefertigt wurden.“

Weil die niedliche Schnecke zur Beruhigung der Patienten, einem guten Gesprächseinstieg und zur konstruktiver Beschäftigung führt, rufen Kollegen Yvonne Hillebrand auf dem Stationsflur immer öfter den Satz zu: „Ich brauch mal ‘ne Lisbeth!“ Das setzt natürlich voraus, dass es ausreichend Häkel-Schnecken im Haus gibt, so dass jeder sein persönliches Exemplar überreicht bekommen kann. „Darum mussten wir die Produktion unbedingt ausweiten, zumal ich selbst nicht häkeln kann“, sagt Hillebrand. Deshalb wurde zunächst ein Aufruf mit Aushängen im Haus gestartet. Und tatsächlich wurde von den Mitarbeitern nicht nur Wolle, sondern auch insgesamt fast 100 fertige Lisbeths gespendet. „Ein großer Dank geht an unsere Unterstützer: So hat uns eine ehemalige Grüne Dame eine bunte Schneckenbande in einem niedlichen Körbchen mit Making-of-Foto übergeben“, sagt Yvonne Hillebrand: „Wir freuen uns über weitere Unterstützung unseres Projektes Lisbeth durch Wollspenden in der Stärke von Socken- oder Topflappenwolle oder auch fertige Schnecken, egal ob größer oder kleiner. Schön ist, wenn die Schnecken individualisiert sind, sei es mit Blümchen, Zöpfen oder Halstüchern oder sich durch Hanfgarn an einigen Stellen anders anfühlen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.“ Eine einfache Häkel-Anleitung gibt es am Krankenhaus-Empfang. Hier können auch überschüssige Wolle oder fertige Häkel-Schnecken abgegeben werden.


HINTERGRUND

Wofür ist eine Demenzbeauftragte im Krankenhaus zuständig?

Yvonne Hillebrand ist Demenzbeauftragte in der Pflege für alle Stationen des St. Adolf-Stiftes.
Yvonne Hillebrand: „Ich bin Ansprechpartnerin für alle Berufsgruppen sowie Angehörige zu Fragestellungen rund um das Thema Demenz. Auch zur Unterstützung der Mitarbeiter kann ich in problematischen Situationen über eine digitale oder telefonische Konsil-Anfrage dazu gebeten werden. Zudem finden regelmäßig Demenz-Fallbesprechungen auf den Stationen statt.
Ich befinde mich in der Aufbauphase des Projektes „Demenzsensibles Krankenhaus Reinbek“ und verfolge dabei zwei große Ziele: Einmal dafür zu sorgen, dass Patienten mit einer demenziellen Erkrankung so gut versorgt werden, dass ihre vorhanden funktionalen und kognitiven Fähigkeiten genutzt beziehungsweise erhalten und mögliche Risiken und Begleiterscheinungen minimiert werden. Und zweitens möchte ich, dass die Mitarbeiter durch gezielte Schulungen noch sensibler im Umgang mit Menschen mit Demenz werden und eine fachliche Steigerung ihrer Kompetenz erfahren.
Aktuell erarbeite ich gerade viele Konzepte, wie zum Beispiel zur Früherkennung von Behandlungsbedarf, zur Einbindung von Angehörigen, über die Schmerzerkennung bei Menschen mit Demenz. Außerdem zu Kommunikation und Umgang bei Menschen mit Demenz, zu Delir, also dem akuter Verwirrtheitszustand und zur aussagekräftigen Dokumentation. Und, last but not least, zu kreativen Betreuungsangeboten.“


Was sind die Aufgaben einer Pflegetrainerin?

Annet Reitenbach ist Pflegetrainerin Familiale Pflege im Krankenhaus und in der Häuslichkeit.
Annet Reitenbach: „Wenn Patienten aus dem Krankenhaus entlassen werden sollen und die Angehörigen die Pflege in der eigenen Häuslichkeit übernehmen möchten, gibt es viele Fragen und Probleme. Manchmal fehlt es nur an konkreten Wissen, wichtigen Handgriffen oder erleichternden Techniken. Als Pflegetrainerin gebe ich den Angehörigen bereits im Krankenhaus Sicherheit im Umgang mit den Kranken. Und das durch ganz individuelle Hilfestellungen. Zuhause kann ich dann direkt vor Ort helfen, etwa durch Auswahl und Beschaffung geeigneter Hilfsmittel, Vorschläge zum Umgang mit Demenz; oder auch ganz praktische Pflegetechniken werden geübt. Darum bin ich auch viel mit dem Auto unterwegs. Die Angebote der Familialen Pflege werden unabhängig von der eigenen Zugehörigkeit von der AOK Nordwest übernommen, solange ein Pflegegrad beantragt oder vorhanden ist.
Wenn also bekannt ist, dass es pflegende Angehörige gibt, melden die Kollegen ein Konsil Familiale Pflege an. Noch im Krankenhaus findet dann ein Erstgespräch statt, bei dem wir die Unterstützungswünsche festlegen. Ganz individuell wird dann der pflegende Angehörige angeleitet, um die Pflege sichern zu können. Mittelfristig ist ein Angehörigen-Café geplant, langfristig auch Gruppenschulungen für pflegende Angehörige.“
 

Interessiert?

Pressevertreter, die Fragen zu dem Thema haben, melden sich gern bei unserer Presseprecherin.
Dipl.-Soz.
Andrea
Schulz-Colberg
Presse- und Öffentlichkeitsreferentin
040 / 72 80 - 34 88
KRANKENHAUS REINBEK ST. ADOLF-STIFT,
Hamburger Straße 41, 21465 Reinbek